Neue Arbeitsteilung im Krankenhaus – oft kein Fortschritt für Beschäftigte und Patienten
Viele Krankenhäuser in Deutschland haben in letzter Zeit Organisation und Arbeitsteilung verändert. Allerdings bringt das auf den Stationen häufig keine Verbesserungen für Beschäftigte und Patienten. Medizinisches und Pflegepersonal sind weiterhin mit Arbeitsverdichtung und Stellenabbau konfrontiert. Vor allem den Pflegenden bleibt oft zu wenig Zeit für Kernaufgaben, insbesondere das Gespräch mit Patienten und Angehörigen. Das zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung. Die Studienautoren vom Institut Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen haben darin erstmals untersucht, wie sich die Zuordnung von Aufgaben, Tätigkeiten und Qualifikationen im Reorganisationsprozess der Krankenhäuser verändern. Die Untersuchung wird heute auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt.
Das IAT-Forschungsteam um Prof. Dr. Josef Hilbert stützt seine Studie auf eine umfangreiche Online-Befragung, an der sich mehr als 2500 Krankenhausbeschäftigte aus ganz Deutschland beteiligt haben: Neben Pflegekräften, die die größte Gruppe stellen, und Ärzten auch Physiotherapeuten, Sozialarbeiter und medizinische Fachangestellte. Die Befragung ist nicht repräsentativ, vermittelt nach Einschätzung der Wissenschaftler aber einen guten Einblick in die Situation in deutschen Krankenhäusern. Zusätzlich werteten sie die Forschungsliteratur und Daten von Lohnspiegel.de aus – das Projekt, das vom WSI-Tarifarchiv in der Hans-Böckler-Stiftung wissenschaftlich begleitet wird, erhebt die Bezahlung unter anderem in Gesundheitsberufen.
Angesichts der hohen Belastung sowohl von Medizinern als auch von Pflegenden werde in Fachkreisen häufig eine „neue Arbeitsteilung zwischen den Gesundheitsberufen" gefordert, schreiben die IAT-Forscher. Ansätze dazu seien auf vielen Stationen längst zu beobachten. So übernehmen beispielsweise Pflegekräfte Aufgaben, die früher vor allem Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren und geben ihrerseits Arbeiten an „Assistenzdienste" ab (Einzelheiten siehe unten). Krankenhausmanager geben in Umfragen an, in den letzten Jahren schon viel für bessere Arbeitsbedingungen getan zu haben. Die Sicht der Beschäftigten lasse aber „starke Zweifel daran aufkommen, dass diese Veränderungen erfolgreich sind", betonen Hilbert und seine Forscherkollegen Christoph Bräutigam und Michaela Evans. Dabei unterschieden sich die verschiedenen Berufsgruppen zwar im Ausmaß ihrer Kritik, sähen aber insgesamt die gleichen Probleme. So wiedersprechen rund 78 Prozent der Pflegenden, mehr als 63 Prozent der Ärzte und etwa 70 Prozent der übrigen Befragten der Aussage: „Meine Arbeitsbedingungen haben sich in den letzten 5 Jahren verbessert". Mehr als 50 Prozent der befragten Krankenhausbeschäftigten glauben nicht, dass Patientinnen und Patienten von den bisher erfolgten Veränderungen der Aufgabenverteilung auf ihren Stationen profitieren.
Weniger Stellen, mehr Arbeit
Bis zu 50.000 Stellen sind nach Schätzungen von
Gesundheitsforschern seit Mitte der 1990er Jahre im Pflegedienst der
deutschen Krankenhäuser gestrichen worden – bei steigenden
Patientenzahlen. Die in der IAT-Studie befragten Pflegerinnen und
Pfleger beschreiben die damit verbundene Arbeitsverdichtung auch für die
jüngste Zeit: 71 Prozent geben an, auf ihrer Station seien
Pflegestellen abgebaut worden. Lediglich 16 Prozent berichten von neuen
Arbeitsplätzen und nur knapp 12 Prozent geben an, dass Aufgaben in der
Pflege reduziert worden seien. Auch nach Einschätzung der Ärztinnen und
Ärzte sind in ihrem Arbeitsbereich eher Stellen gestrichen als
geschaffen worden. Zudem berichten fast 37 Prozent, dass auf ihrer
Station Mediziner als Leih- oder Zeitarbeiter beschäftigt würden.
Zu wenig Zeit fürs Wesentliche
Im Arbeitsalltag erleben viele Beschäftigte aus allen
Berufsgruppen permanente Zeitknappheit. Knapp 60 Prozent sagen, sie
hätten nicht genug Zeit für ihre Arbeit, weitere 27 Prozent beantworten
die Frage mit „teils-teils". Mehr als die Hälfte der befragten Ärzte und
Pflegekräfte können zumindest mehrmals in der Woche nicht die
vorgesehenen Pausen machen. Fast 83 Prozent aller Beschäftigten geben
an, dass auf ihrer Station wichtige Aufgaben vernachlässigt würden. Rund
60 Prozent der Pflegenden und rund die Hälfte der Mediziner beobachten
beispielsweise, dass nicht genug für die Information, Anleitung und
Beratung von Patienten getan werde. Jeweils knapp die Hälfte der
Befragten finden, dass die Ausbildung auf ihrer Station zu kurz komme.
Ein Drittel der Pflegenden und etwa jeder fünfte Mediziner sprechen von
Defiziten bei der Dokumentation.
Gleichzeitig, konstatieren die Forscher, liege bei den
Pflegekräften „ein erheblicher Teil des Aufgabenspektrums abseits der
Arbeit mit Patientinnen und Patienten". Jeweils rund 40 Prozent der
Pflegenden geben an, dass sie auch für Transporte, Botendienste,
Reinigungsarbeiten, Verwaltung und hauswirtschaftliche Tätigkeiten
eingesetzt werden – während sie mit ihren Kernaufgaben kaum nachkommen.
Verschiebung von Aufgaben, aber keine echte Reorganisation
Mehr als 78 Prozent der befragten Pflegerinnen und Pfleger haben
nach eigener Angabe in letzter Zeit Tätigkeiten vom ärztlichen Dienst
übernommen. Pflegekräfte versorgen verstärkt Wunden, sie setzen
Spritzen, legen Venenkanülen, geben Medikamente zur Chemotherapie,
kümmern sich um die Dokumentation. 47 Prozent bekamen darüber hinaus
zusätzliche Verwaltungsaufgaben übertragen.
Zwar haben in etlichen Kliniken offenbar auch die Pflegedienste Aufgaben abgeben können. Der Anteil der Beschäftigten, die von solchen Entlastungen berichten, ist allerdings deutlich geringer: Knapp 44 Prozent der befragten Pflegekräfte tun das. Am häufigsten hat der Pflegedienst Mahlzeitenbestellungen, die Begleitung von Patienten im Krankenhaus, Boten- und Transportaufgaben sowie Reinigungsarbeiten abgeben können. Übernommen haben solche Tätigkeiten vor allem Beschäftigte in „Assistenzdiensten" wie Servicehelferinnen, Stationsassistenten, Pflegehilfskräfte. Ein gutes Drittel der Befragten gibt an, dass derartige Dienste auf ihrer Station neu eingerichtet worden sind.
Doch auch wenn Verschiebungen in der Arbeitsteilung damit durchaus verbreitet sind – von effektiven Reorganisationen kann nach Analyse der IAT-Experten keine Rede sein. Hilbert und seine Ko-Forscher sprechen von „Experimenten", die die Praktiker auf den Stationen meist nicht überzeugten. Beispiel Pflegedienst: Dessen „Entlastung von patientenfernen Aufgaben" sei „bei weitem noch nicht systematisch und flächendeckend umgesetzt". Und wenn die Pflegekräfte Aufgaben und Verantwortung von Ärztinnen und Ärzten übernähmen, dann handele es sich oft nur um „Einzeltätigkeiten" und nicht um zusammenhängende „Aufgabenkomplexe". Die von Gesundheitsexperten immer wieder geforderte „sachgerechte interdisziplinäre Kooperation der Berufe zur Verbesserung der Patientenversorgung" komme dadurch kaum voran. Auch werde die Chance nicht genutzt, „die professionelle Rolle der Pflege im Krankenhaus zu stärken" und damit den Beschäftigten eine Perspektive zu bieten, die auch ihre Arbeitszufriedenheit erhöht. Dazu passt, dass die meisten Befragten angemessene Weiterbildungsmöglichkeiten vermissen: Nur knapp 17 Prozent der Pflegerinnen und Pfleger sind zufrieden damit, wie ihr Arbeitgeber sie in der Fort- und Weiterbildung unterstützt. Und lediglich ein gutes Drittel gibt an, bei Bedarf die nötige Weiterbildung zu erhalten.
Viele machen sich Sorgen um die Rente
Die Forscher vom IAT attestieren den Krankenhausbeschäftigten
hohes Engagement. Trotzdem sehen sie insbesondere den Pflegebereich
schlecht für eine Zukunft gerüstet, in der das Personalangebot schon
wegen der demografischen Entwicklung zurückgeht und ein gravierender
Fachkräftemangel droht. Während die Verantwortung der Beschäftigten
wachse, blieben ihnen entsprechende Gestaltungsspielräume und
Entscheidungsbefugnisse vorenthalten. In strategische Entscheidungen
sehen sich viele Beschäftigte nicht hinreichend eingebunden – auch wenn
diese ihren Arbeitsplatz unmittelbar betreffen. Ein weiterer Kritikpunkt
ist die Bezahlung: In der IAT-Umfrage sagen knapp zwei Drittel der
Pflegekräfte, sie würden nicht ihrer Leistung angemessen bezahlt. Laut
WSI-Lohnspiegel verdienen Krankenschwestern bei einer 40-Stunden-Woche
brutto durchschnittlich 2.513 Euro im Monat, ihre männlichen Kollegen
kommen auf 2.742 Euro. Spezialisierte Operationsschwestern und -pfleger
erhalten im Durschnitt 3.247 und 3.533 Euro. Helferinnen und Helfer in
der Krankenpflege müssen sich mit weniger als 2.000 Euro im Monat
begnügen. Knapp die Hälfte der vom IAT befragten Pflegekräfte macht sich
Sorgen, nicht genug zu verdienen, um später einmal eine auskömmliche
Rente zu bekommen.
Quelle: Pressemiteilung Hans Böckler Stiftung 28.08.2014